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Vorbemerkung: Täglich erreichen mich eMails mit zustimmendem aber auch mit schroff ablehnendem Inhalt zu den Jakob-Texten. Häufig wird darin bemängelt, dass ich für die Einführung der Folter plädiere und dies verharmlosend als "effektive Hilfe" der Polizei für das Entführungsopfer Jakob bezeichne.  Ich werde nun versuchen, in einem fiktiven Interview einige der vielen Fragen zu beantworten.

 

Das Interview

 

Schröder, Reporter:

Ihre Urteilsschelte "Berichten Sie wohl!" lässt ja kein gutes Haar am Urteil des Landgerichtes Frankfurt gegen den Vizepolizeipräsidenten  Daschner und seinem mitangeklagten Hauptkommissar. Hat denn das Gericht durch sein äußerst mildes Urteil, schließlich ging es ja da um Aussageerpressung durch Folter, nicht ein Zeichen gesetzt für den scheinbar ausweglosen Gewissenskonflikt, dem sich Herr Daschner ausgeliefert fühlte?   Das Gericht vergleicht diesen Konflikt mit einer griechischen Tragödie!

 

UP, ich:

Große Worte in einem Urteil, dass das Papier nicht wert ist, auf dem es geschrieben ist! Ich muss das leider so sagen. Dabei will ich den beteiligten Richtern keine böse Absicht vorwerfen, ich möchte lediglich darauf hinweisen, dass die Sichtweise des Problems in der vorherrschenden Juristenmeinung meiner Meinung nach menschenverachtend ist, indem sie mit ihrer Interpretation der Menschenwürde das Recht auf Leben als zweitrangig erscheinen lässt. Notfalls müsse man, so die Juristen, das Leben Jakobs als Opfer hinnehmen, damit die Menschenwürde des verurteilten Kindermörders G. unbeschadet bleibt! Die Polizei habe sich professionell zu verhalten und unter allen Umständen das absolute Folterverbot einzuhalten! 

 

Schröder:

Na, das war doch Folter, die Gewaltandrohung gegen den später als Kindermörder verurteilten G., oder ?

 

UP:

Das war keine Folter, zu der bestimmte politische Gruppen und ein Teil der Juristen diesen Vorgang unbedingt machen wollen! Das war Gewaltanwendung oder besser die Androhung von Gewalt gegen einen Verbrecher, der das Leben seines Opfers akut bedrohte! Wir müssen von ähnlicher Gewaltanwendung notgedrungen immer wieder in der Zeitung lesen, wenn die Polizei zum Beispiel mit einem gezielten Schuss den Geiselnehmer beim Verlassen der überfallenen Bank kampfunfähig machen musste.

 

Schröder:

Aber, aber! Der G. war doch bereits in Polizeigewahrsam!

 

UP:

Richtig! Das genau ist hier das Problem! Der G. war im Polizeigewahrsam, Jakob aber, hier vergleichbar mit der Geisel, an einem unbekannten Ort, den der G. partout nicht nennen wollte!

 

Was sollte da der Herr Daschner machen? Sollte er so einfach das Leben Jakobs dessen Entführer überlassen? Sollte er wirklich den G. mit Kaffee und Gebäck in dessen Zelle zurückschicken und Jakobs Eltern sein Beileid ausdrücken?

 

"Herzliches Beileid! Tut mir leid! Uns waren die Hände durch das absolute Folterverbot gebunden! Jakob ist für die epochale und zivilisatorisch einmalige Leistung unserer elitären Juristen opferbereit einen würdevollen Tod gestorben. Wir werden sein Andenken immer in Ehren halten!" 

 

Schröder:

Jakob war aber doch schon tot!

 

UP:

Jetzt wissen wir das, aber damals war das unbekannt! Der Entführer G. hatte sogar noch schriftlich bestätigt, dass Jakob noch lebt!

Doch zurück zum Problem des Polizeigewahrsams. Die Polizei darf also keine Gewalt gegen einen gefangenen, verstockten  Kindesentführer anwenden, weil das sofort als Folter angesehen würde!  Deshalb zögert die Polizei auch bei einer Kindesentführung mit der Festnahme des Entführers in der Hoffnung, dass dieser sie selber zum Versteck des Entführten führen werde. Leider wird dadurch die Zeit des Martyriums des Entführten unnötig in die Länge gestreckt und dies auch mit der Gefahr für Leib und Leben, wie es sich immer wieder herausgestellt hat.

 

Schröder:

Also doch Folter?

 

UP:

Sprechen wir doch nicht immer von Folter! Das weckt fürchterliche Assoziationen, die aber  in diesem Fall abwegig sind! Ich spreche hier von der KONTER. Das ist eine Abkürzung für "Kontra-dem-Entsetzen"-Reaktion. Es ist die Reaktion unserer Gesellschaft auf ein nicht hinnehmbares Verhalten gegen das Leben! Wir werden später sicherlich noch darauf zurückkommen.

Doch zurück:

Der Herr Daschner war also wirklich in einer aussichtslos erscheinenden Situation, wie auch das Landgericht Frankfurt in seinem Urteil erkannt hat.

 

Schröder:

Ja, aber der Stufenplan?

 

UP:

 Ach wissen Sie, dieser hatte doch eine reine Alibifunktion. Er kaschierte die Machtlosigkeit der Polizei durch hilfloses Getue. Der dadurch hervorgerufene Zeitverzug könnte für Jakob tödlich sein! Nein, nein, Herr Daschner tat das einzig Vernünftige: Er ließ dem Entführer G. Gewalt androhen und hatte damit sofort Erfolg! Leider war, wie wir alle wissen, Jakob bereits tot, erstickt durch Paketklebeband neben dem Entführer auf dessen Bett liegend! Doch wie gesagt, zur Zeit der Vernehmungen des G. musste man davon ausgehen, dass Jakob noch lebte und er vor dem sicheren Tod durch entschiedenes Handeln der Polizei gerettet werden könnte.

 

Schröder:

Dann war das doch übergesetzlicher Notstand und damit die Gewaltandrohung zulässig!

 

UP:

Sie sehen das völlig richtig. Leider hat das Frankfurter Landgericht dies verneint und auf das absolute Folterverbot hingewiesen! Das Gericht hat die Anweisung des Herrn Daschner noch nicht einmal als Nothilfe anerkannt, weil Herr Daschner nur als Polizeibeamter agieren durfte und nicht als Mitmensch, der einem anderen an Leib und Leben bedrohten Menschen zur Hilfe eilen darf!

 

Schröder:

Nothilfe ist doch nach Professor Erb ein Menschrecht, das durch Gesetze nicht eingeschränkt werden darf!

 

UP:

Ich sehe, dass Sie den entsprechenden Artikel in Neue Zeitschrift für Strafrecht gelesen haben. Dies zeigt besonders deutlich die völlig verschiedenen Sichtweisen der Juristen. Leider sind die beiden über alle Zweifel erhabenen Polizeibeamten der falschen Fraktion dieser Spezies anheim gefallen! Die überzogene und geifernde Berichterstattung in den Medien tat ihr Übriges. Völlig entnervt gaben Herr Daschner und der Hauptkommissar auf und erkannten dieses gefährliche  Urteil an. Man muss dabei ja an die Folgewirkungen denken! Bei einem ähnlichen Fall in der Zukunft, bei dem nachgewiesen werden kann, dass das Entführungsopfer nur deshalb nicht überlebt hat, weil der Polizei die Hände gebunden waren, wird sich die Öffentlichkeit nicht so leicht durch eine Verschiebung der Problematik auf die Folterschiene abspeisen lassen. Das Recht auf Leben ist ein so grundlegendes, elementares Naturrecht, dass es nicht auf Dauer durch ein noch so ausgeklügeltes Ideengebäude hochfliegender Idealismen beiseite gedrängt werden kann. Irgendwann wird solch ein Gebilde unter Blut und Tränen zusammenbrechen. Folterverbot, Justiz und nicht zuletzt unser Grundgesetz werden Schaden erleiden. Man wird genau das erreichen, was man durch die Absolutheit des Folterverbotes und die leider nur gut gemeinte Interpretation der menschlichen Würde eigentlich verhindern wollte.

 

Schröder:

Das klingt ja ziemlich pessimistisch. Was würden Sie vorschlagen?

 

UP:

Nun dafür bin ich als pensionierter Lehrer und juristischer Laie eigentlich nicht der richtige Ansprechpartner. Doch wenn die beiden bisherigen Möglichkeiten des übergesetzlichen Notstandes und der Nothilfe nicht mehr greifen, muss man sicherlich einen Weg suchen, der die Lebenswirklichkeit besser berücksichtigt als eine noch so tolle würdevolle Theorie der juristischen Eliten dieses Landes. Vielleicht darf ich Ihnen meinen Vorschlag der KONTER, also der "Kontra-dem-Entsetzen"-Reaktion,  an einer kleinen Spielszene vorstellen? 

 

Schröder:

Bitte.

 

***********************

 

Lehmann, vernehmender Hauptkommissar:

Herr G. Sie sind festgenommen worden, weil Sie Jakob entführt haben, um Lösegeld zu erpressen. Wir haben den begründeten Verdacht, dass Sie wissen, wo Jakob sich zur Zeit aufhält. Dass er lebt, haben Sie mir hier auf diesem Zettel vermerkt. Bevor ich Sie jetzt noch einmal frage, wo Jakob sich zur Zeit aufhält, mache ich Sie auf die neue gesetzliche Regelung KONTER aufmerksam, wonach die Polizei ermächtigt werden kann, Gewalt anzuwenden, um von Ihnen, den Aufenthaltsort zu erfahren. Der diesen Fall begleitende Ermittlungsrichter hat die besondere Gefährdungslage für Jakob bereits bestätigt. Also bitte, wo befindet sich Jakob?

 

G., Lösegeldentführer:

Ich habe Hunger.

 

Lehmann:

Hier auf diesem Tisch steht alles, was Sie brauchen. Herr G. überdenken Sie Ihr Verhalten noch einmal sehr genau! Die Zeit drängt! Wir befürchten, dass Jakob in akuter Lebensgefahr ist! Ich betrachte Ihre Antwort als Weigerung, uns den Aufenthaltsort Jakobs zu nennen. Nochmals: Wo befindet sich Jakob?

 

G.:

Ich habe Durst.

 

Lehmann:

Ich werde jetzt die Polizeiführung von Ihrer Weigerung unterrichten!

 

Lehmann verlässt den Raum und kommt nach fünf Minuten wieder zurück.

 

Lehmann:

Wo ist Jakob?

 

G.:

Ich habe Durst.

 

Lehmann:

Ich bin beauftragt worden, Ihnen mitzuteilen, dass wir massive körperliche Gewalt gegen Sie einsetzen werden, wenn Sie nicht unverzüglich uns den Aufenthaltsort Jakobs mitteilen! Es werden zwei Kampfsportler gegen Sie eingesetzt werden. Körperverletzungen sind nicht ausgeschlossen! Bitte überlegen Sie gut! Wenn ich diesen Raum jetzt ohne eine befriedigende Antwort verlasse, werden die beiden Kampfsportler ihre Arbeit tun! Also bitte, wo ist Jakob?

 

G.:

Ich habe Hunger!

 

Lehmann:

 Herr G., diese beiden gerade eingetretenen Kampfsportler werden Sie nun bedrängen, den Aufenthaltsort Jakobs preiszugeben. Noch einmal: Wo ist Jakob?

 

G.:

Ich habe Durst!

 

Lehman, den Raum verlassend:

Bitte meine Herren, tun Sie Ihre Pflicht!

 

***********************

 

UP:

Herr Schröder, ich sage Ihnen, nach zwei Minuten ist alles vorbei! Jakob lebt und kann gerettet werden. G. ist zwar windelweich geschlagen worden und kann die nächste Woche nur noch auf dem Bauch in seiner Zelle liegen, aber Jakob lebt!  Er ist unterkühlt und leidet unter schwerem Schock, auch werden ihn die nächsten Jahre noch lange Albträume quälen, aber er lebt!

    

Schröder:

Doch wo bleibt die Würde des G., von der das Landgericht Frankfurt gesprochen hat?

 

UP:

Würde man den Stufenplan des Frankfurter Landgerichtes verwirklichen, sähe die Sache wohl so aus:

 

***********************

 

Lehmann:

Herr G., Ihre Mutter ist hier. Wir konnten sie leider erst jetzt, fünf Stunden später als zugesagt, finden. Ich lasse Sie jetzt mit Ihr allein!

 

Mutter, des G.: (umarmt und herzigt ihn)

Junge, stimmt das, was die Polizei von Dir erzählt? Ich kann es nicht glauben! Jakob von Dir entführt? Ich komme gerade von Tante Amalie. Wir haben das mit Jakob im Rundfunk gehört.

 

G.:

Lass man Mama. Die Polizei  und der Gerhard wollen mir was anhängen. Ich komm da wieder raus. Geh mal nach Hause, ich schaff das schon alleine!

 

Lehmann, eintretend:

Herr G., Ihre Tante Amalie ist hier und möchte mit Ihnen sprechen.

 

G.:

Ich möchte nicht!

 

Amalie, Tante, sich hineindrängend:

Junge, was hast Du schon wieder angestellt! Ich habe gleich mit Onkel Erich telefoniert! Na der hat getobt! Warte nur bis der hier ist! Wo ist Jakob? Du hast ihm doch nichts getan? Der arme Junge! Wo ist er? Draußen regnet es! Wo ist er?

 

G.:  

Tante, geh bitte! Ich kann Dich hier wirklich nicht gebrauchen! Das ist meine Sache! Lass mich allein!

 

Lehmann:

Herr G., wollen Sie Jakob wirklich nicht helfen? Draußen hat es zu regnen begonnen! Falls er in einer Erdgrube ist, könnte die voll Wasser laufen! Sie würden zum Mörder, wenn Jakob ertrinkt!

 

G.:

Ich habe Durst!

 

Lehmann:

Ihr Onkel Erich hat von unterwegs angerufen. Er steht im strömenden Regen auf der Autobahn im Stau. Wollen Sie ihn sprechen, hier im Telefon?

 

G.: 

Verdammt noch mal, ich habe Durst! Lassen Sie mich mit dem zufrieden!

 

Nach weiteren fünf Stunden erscheint sichtlich erregt Onkel Erich, drängt sich an Hauptkommissar Lehmann vorbei in das Vernehmungszimmer, stößt Lehmann hinaus und verriegelt die Tür von innen:

 

Onkel Erich:  gibt G. eine saftige Ohrfeige

Verdammt und zugenäht, Du erzählst mir jetzt sofort, wo Jakob ist oder ich schlag Dich windelweich! Das bin ich Deinem Vater, meinem Bruder, schuldig! Du kennst mich!

 

***********************

 

UP:

Nach zwei Minuten kommt Onkel Erich schweißnass aus dem Vernehmungszimmer und berichtet den Beamten, wo Jakob gefunden werden kann. Man findet Jakob tatsächlich in einer Erdgrube unter dem Steg am See, wo beide, Jakob und G. früher fröhlich mit ihrer Jugendgruppe geschwommen sind. Die Grube ist voll Wasser gelaufen. Der Körper Jakobs ist noch warm und das Gesicht rosig. Der Notarzt bemüht sich verzweifelt um Jakob. Doch plötzlich werden dessen Wangen ganz fahl und der kleine Körper fällt still in sich zusammen. Jakob lebt nicht mehr! Alles Mühen war vergeblich!  

 

Schröder, sichtlich beeindruckt:

.... und was ist jetzt die Bilanz?

 

UP:

In der ersten Version, der KONTER-Version, wird Jakob durch schnelles Zugreifen der Polizei gerettet. Er wird zwar noch lange ärztliche und liebevolle Betreuung benötigen, aber er lebt! G. wird wegen Lösegelderpressung zu acht Jahren Freiheitsentzug verurteilt, von denen er nur sechs Jahre wegen guter Führung und aussichtsreicher Sozialprognose absitzen muss.

 

In der zweiten, der würdevollen Version des Frankfurter Landgerichtes, wird G. zum Mörder und erhält lebenslänglich.  Wahrscheinlich wird er nur 15 Jahre absitzen müssen. Die erste Version hat ihm zwar eine Woche Auf-dem-Bauch-liegen eingebracht, doch sind ihm 9 Jahre Knast erspart geblieben. Das ist doch eine gar nicht so schlechte Bilanz für die Würde des G., oder?  Und vergessen wir darüber nicht die Hauptsache: Jakob lebt in der ersten Version und unser Staat hat sich nicht zum Komplizen des Verbrechers pressen lassen. Der Staat hat seine originäre und verpflichtende Schutzfunktion auch in einer sehr problematischen Situation entfaltet.

 

Schröder:

Na ja ....

Sag Sie mal Herr Perwass, warum machen Sie das eigentlich alles? Diese vielen Jakob-Texte!

 

UP:

Ich habe als Beamter auf die Verfassung unseres Landes geschworen. Ich will nicht mitschuldig werden an einem Mord durch unterlassene Hilfeleistung, wie dieses letztendlich untätige Danebenstehen ein Juraprofessor einmal genannt hat!

 

Lassen Sie mich zum Schluss noch folgendes bemerken:

 

Der Polizei-Vizepräsident Wolfgang Daschner hat in der ZDF-Sendung

 "Der Mordfall Jakob von Metzler - Ein Verbrechen und seine Folgen"

am 26. Juli 2006 das richtige Schlusswort gefunden:

 

«Es war viel von der Menschenwürde die Rede, aber fast nur von der des Täters und nicht von der Menschenwürde des Kindes und seiner Familie. Das Grundgesetz verpflichtet alle staatliche Gewalt, die Menschenwürde zu achten und zu schützen. Wenn aber beides nicht möglich ist, nämlich die Menschenwürde des Täters zu achten und gleichzeitig die Würde des Opfers zu schützen, dann muss eine Entscheidung getroffen werden.»

 

Hoffen wir, dass die Debatte weitergeht und sich das Recht auf Leben auch in den Köpfen so mancher Juristen wieder neu belebt.

 

Das Recht auf Leben ist in der Würde des Menschen begründet und gleichzeitig ihr existentielles Fundament! Es darf nicht von ihr losgelöst zum Spielball juristischer Theorien und Ideologien werden!

 

Dazu auch:

Ordnungsrufe

 

Nicht Folter, sondern Nothilfe

von Prof. Dr. Volker Erb

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