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Würdeschnitt à la Dumont

Kommentar zum offenen Brief

 "Wir wollen Sie!"

des Herrn Alfred Neven Dumont an Frau Charlotte Knobloch

V2.1

 

Im Kölner Stadt-Anzeiger vom 7. September 2012 meldete sich dessen Herausgeber Alfred Neven Dumont auf Seite 04 unter dem Titel "Wir wollen Sie" in der aktuellen Beschneidungsdebatte zu Wort. Anlass war der Artikel "Wollt Ihr uns Juden noch?" in der "Süddeutschen Zeitung", in dem Frau Knobloch über "schwere Belastungen  des jüdischen Volkes" in Deutschland resümierte, hierbei insbesondere die Beschneidungsdebatte meinte und die Frage aufwarf: "Wollt Ihr uns Juden noch?". Man mag den Debattenbeitrag von Frau Knobloch als direkt Betroffene des Holocausts verständnisvoll so hinnehmen, diesen aber zum Anlass zu nehmen, den Urteilsspruch eines Richters aus Köln über die Beschneidung als angemaßt zu verdammen, ist für mich nur schwer zu ertragen.

 

Sehr geehrter Herr Dumont,

 

die Richter des Kölner Landgerichtes haben Charakter gezeigt, als sie im Hinblick auf unser aller Grundgesetz die Beschneidung von unmündigen Kindern auch mit Blick auf religiöse Traditionen als rechtswidrig erklärten. Diese Charakterstärke hätte man auch jenen Richtern gewünscht, die seinerzeit die Würde des Mörders höher einschätzten als das Recht auf Leben seines Opfers und somit den Würdemord als verfassungskonform deklarierten, die nothelfenden Polizisten bestraften und dem Mörder 3000 Euro Entschädigung für das Ungemach der versuchten Nothilfe zusprachen. Dies ist die eine Seite meiner Kritik.

 

Die andere Seite der Kritik bemängelt, dass der altgediente Herausgeber des Kölner Stadt-Anzeigers es nicht geschafft hat, sich mit den theologischen und geschichtlichen Grundlagen der Beschneidung auseinanderzusetzen, um so zu einem abgeklärteren Ergebnis zu kommen. Dann hätte er gemerkt, dass die Frage niemals lauten kann "Wollt Ihr uns noch?" sondern "Diskutieren wir vernünftig?". Denn diese Diskussion haben wir alle, aber auch wirklich alle zu führen und zu ertragen! Niemand wird ausgeschlossen, niemand wird verdammt! Aber die Reibungspunkte einer humanen, aufgeklärten Gesellschaft mit archaischen Riten und Traditionen müssen bearbeitet werden.

 

Lesen Sie bitte Prof. Dr. Wolffsohn:

Zitat:

Nicht von der Vorhaut hängt das Judentum ab. Die Beschneidungskontroverse ist keine „deutsche Debatte“ . Die Halacha, das jüdische Religionsgesetz, ist eindeutig: Ein unbeschnittener Jude ist Jude, sofern Sohn einer jüdischen Mutter. Zwar erweckten die meisten deutsch-jüdischen und israelischen Debattenbeiträge den gegenteiligen Eindruck, doch Wortmeldungen ersetzen keine Wissenschaft. Dass einige politisch-jüdische und rabbinische Repräsentanten den Bogen zum Holocaust schlugen oder mit Auswanderung drohten, war, bezogen auf die bewährte bundesdeutsche Demokratie, substanz- und taktlos. Dass, wie es heißt, „ausgerechnet Deutsche“ sich nicht an dieser Debatte beteiligen sollten, vermag ich als jüdischer Deutscher nicht einzusehen. Sind „ausgerechnet deutsche“ Demokraten weniger demokratisch als wir Juden, als ich? Nochmals: Namen nenne ich nicht.

Man mag das Kölner Beschneidungsurteil so oder anders bewerten, es wäre gerade für uns Juden eine Gelegenheit gewesen, jüdische Inhalte, wenn nötig, kennenzulernen, zu überdenken und dann, mit neuer innerer Kraft, beizubehalten - oder zu ändern. Wir hätten, wie umgekehrt die Christen, erkannt, dass ausgerechnet, ja, gerade dieses Thema uns zu- und nicht voneinander führt. Die bisherige Debatte hat den Graben vertieft. Genug gegraben!

Symbole und Rituale sind Brücken bzw. Krücken auf dem Weg zu Gott oder, nicht religiös formuliert, auf dem Weg zur Erfüllung höchstethischer Prinzipien. Die Beschneidung ist ein Ritual. Juden, Christen und sogar Atheisten hätten diese Grundsatzfrage stellen sollen: Wie viel Krücken braucht der Mensch, um zu Gott oder zur Hochethik zu gelangen?

Zitatende

 

Der Bezug auf den Holocaust in Ihrem Artikel als schlummernde Bombe ist nicht nur verfehlt sondern beleidigt das deutsche Volk zutiefst. Wir haben hier einen demokratischen Rechtsstaat nach diesem unsäglichen Verbrechen schaffen können, der aller Anerkennung Wert ist. Eine Mystik der schlummernden Bombe wäre genau kontraproduktiv! Mich als Lehrer macht Ihre Bemerkung stolz und glücklich, dass von zehn Stimmen nur eine einzige für die Beschneidung votierte. Unser Bemühen, unsere Jugend nach dem unsagbaren Holocaust für Freiheit, Demokratie und Menschenrechte zu prägen, hat offensichtlich tiefe Wurzeln geschlagen. Hoffen wir, dass auch in den Religionen, wie einst am Ende des Zeitalters der Menschenopfer, durch die augenblickliche Debatte eine fruchtbare Diskussion entsteht.

 

Mit freundlichen Grüßen

 

Ulrich Perwass

 

ps.:

Lesen Sie bitte hierzu auch meinen Gesetzentwurf zur Beschneidung sowie folgende Links:

 

Wolffsohn relativiert Bedeutung der Beschneidung im Judentum

 

Taufe statt Beschneidung? Die Fakten zur „deutschen Debatte“

 

Jews Against Circumcision

 

pps:

Prof. Dr. Reinhard Merkel, Professor für Strafrecht an der Universität Hamburg und Mitglied des Deutschen Ethikrates, hat in einem bemerkenswerten Artikel in der Süddeutschen Zeitung am 25. August 2012 seine Ansicht zur Beschneidung dargelegt:

Die Haut eines Anderen

Er verneint einen Grundrechtskonflikt zwischen dem Freiheitsrecht der Eltern auf ungestörte Ausübung ihrer Religion und dem Integritätsrecht des Kindes auf seine körperliche Unversehrtheit, da kein Freiheitsrecht es gestattet, in den Körper anderer einzugreifen. Das bedeutet, dass es gar keinen Grundrechtskonflikt geben kann, weil es keinen Abwägungsspielraum gibt. Mit meinen Worten: Das eine hat mit dem anderen nichts zu tun. Die Lösung des Beschneidungsproblems kann daher nur ein jüdisch-muslimisches Sonderrecht sein, das zwar ein Sündenfall des Rechtsstaats sei, das aber aufgrund der spezifischen Sensibilität gegenüber den jüdischen Belangen ihm zumindest zeitweise zugemutet werden muss, bis in einem Anpassungsprozess eine bessere rechtliche Lösung sich herausbilden kann. Dieser Anpassungsprozess muss auch den Religionen zugemutet und von ihnen gefordert werden.

 

Prof. Dr. Reinhard Merkel,

Professor für Strafrecht an der Universität Hamburg und

Mitglied des Deutschen Ethikrates:

Die Haut eines Anderen

Beschneidung von Jungen ist religiöses Sonderrecht

Ein kläglicher Gesetzentwurf

 

ppps:

Machen Sie sich selbst ein Bild von dem "kleinen Schnitt" einer Beschneidung:

Video einer Beschneidung

 

 

 

 

Bitte lesen Sie auch:

 

Die Komik des Würdeschnitts

Entwurf eines Gesetzes zur Beschneidung

 

Trilogie Würdemord:

 

Vor eigener Tür

Ehrenmord und Würdemord

Würdemord!

Mord aus höchsten Beweggründen

Würdemord - Begriffsdefinition

 

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