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Offener Brief

(an jeden, den es angeht)

V 8.4

 

Geben Sie Gedankenfreiheit, Sire!

Frei nach Marquis Posa in "Don Carlos" von Friedrich von Schiller

 

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"Beim Bundesverfassungsgericht herrscht Ruhe vor dem Sturm"

 

von Ursula Knapp über erwartete  Aktivitäten des BVG im Jahre 2008, erschienen in der Siegener Zeitung am 31. Dezember 2007 auf Seite 18.

 

Zitat:

In den letzten Monaten ist der Ton zwischen Innenminister Schäuble und dem Bundesverfassungsgericht rauer geworden. Der CDU-Politiker kritisierte in einer Veranstaltung in Karlsruhe das Urteil zum heimlichen Lauschangriff. Mit dieser Entscheidung laufe das Abhören von Wohnungen "ins Leere". Auch das Verbot zum Abschuss entführter Passagiermaschinen wurde von Schäuble und Verteidigungsminister Franz Josef Jung (CDU) mehrfach in Frage gestellt.

 

Gerichtspräsident Hans-Jürgen Papier, der als Vorsitzender an den Urteilen beteiligt war, konterte in der Katholischen Akademie in Berlin, die eigene Wohnung sei "fast das einzige Refugium, das dem Menschen bleibt". Dieser Rückzugsbereich der Privatheit müsse erhalten bleiben. "Sonst ist das eine Gesellschaft, in der ich eigentlich nicht leben möchte".  Papier forderte auch mehr Respekt der Politiker vor Urteilen des Bundesverfassungsgerichtes. Laut Grundgesetz liege die verbindliche Fallentscheidung in Karlsruhe. Da hat es wenig Sinn, immer wieder auf Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichtes herumzuhacken", sagte Papier wörtlich.

Zitatende

 

Eiskalt lief es mir den Rücken herunter. Da hatte ich es mir zum Jahreswechsel bei einer Tasse Kaffee, einem Berliner und der Siegener Zeitung gemütlich gemacht, als ich diesen Text lesen musste. Der Präsident des BVG, Herr Hans-Jürgen Papier, verbat sich arrogant jegliche Kritik an seinem Tun, da er per Grundgesetz die Interpretationshoheit habe und folglich nur richtig entscheiden könne. 

 

"L'État c'est moi !"  

(Louis XIV)

 

Erschreckend! Ist das der Beginn einer Richterdiktatur? Ist dies das Demokratieverständnis unseres höchsten Verfassungsrichters? Hat das Grundgesetz etwa einen Geburtsfehler, weil die Mütter und Väter des Grundgesetzes bedenkenlos auf das unvoreingenommene Urteil von Juristen setzten? Kritik, Herr Hans-Jürgen Papier, ist das Salz in einer gelebten Demokratie! Kritik ist die Aufforderung, das eigene Tun nochmals und immer wieder zu bedenken und zu hinterfragen! Und zu bedenken und zu hinterfragen gibt es sicherlich einiges, wenn ich nur zwei Entscheidungen Ihres ehrenwerten Kollegiums mir anschaue. 

 

Da ist einmal das Urteil zum Abhören einer Wohnung. Obwohl solch eine Abhörung nur aufgrund schwerer Verdachtsmomente richterlich angeordnet werden kann, muss sie, Ihrem Urteil entsprechend, sofort abgebrochen werden, wenn einer der Bombenbauer Allah zu preisen beginnt. In welchem Wolkenkuckucksheim leben Sie eigentlich, Herr Präsident? Haben Sie uns wirklich nichts zu erklären? Gibt es bei solchen wirklichkeitsfremden Entscheidungen keinen Zweifel, der geäußert werden kann, ja geäußert werden muss? Sie fordern Respekt ein vor Ihren Entscheidungen und erhalten doch nur Kopfschütteln. Respekt kann man nicht fordern, Respekt muss hart erarbeitet werden. Dann erst kann man ihn erwarten.

 

Das zweite Urteil, das einer deutlichen Kritik bedarf, ist sicherlich das Urteil zum Luftsicherheitsgesetz vom 15. Februar 2006. Ich hatte damals kurz nach dem Urteil bereits einen Kommentar auf meiner Homepage. Dass das Thema vom Innen- und Verteidigungsminister immer wieder angesprochen wird, kennzeichnet die Sorge der Politiker, die die Verantwortung für die Sicherheit von uns allen tragen, also auch der Ihren! Die technische Entwicklung ist inzwischen so weit fortgeschritten, dass es auch einer kleinen Terrorgruppe möglich sein wird, mit zum Beispiel schmutzigen Bomben Länder und Völker zu terrorisieren. Wozu religiöser Wahn führen kann, wird uns ja leider oft genug vorgeführt. Das alles scheint Ihnen egal, wenn nur Ihre überzogenen philosophischen Thesen durch ein realitätsnahes Urteil keinen Kratzer abbekommen. Leider haben Sie vergessen, Ihrem Urteil ein Geiselemblem beizufügen, mit dem die Terroristen ihr Bombenflugzeug zu kennzeichnen haben, damit kein übereifriger Bundeswehrpilot die Waffe der Terroristen zerstört und so gezwungenermaßen das Leben der Geiseln unter schweren Gewissensqualen um 10 Minuten verkürzt, um, nach Ihrer Diktion, "würdelos" das Leben tausender Menschen zu  retten. Der Terrorist bedankt sich für Ihr Urteil, hat er so doch die Gewissheit, dass seine Bombe ihr Ziel erreicht, zumal die Prävention durch eifriges Beten unterlaufen werden kann!  Respekt? Respekt wovor?

 

Das BVG hat sich seit Bestehen der Bundesrepublik Deutschland in harter Arbeit national und international Respekt erworben. Sie, Herr Hans-Jürgen Papier, sind auf dem besten Wege, diesen Respekt in Frage zu stellen. Was glauben Sie wird wohl passieren, wenn nach Frankfurt, Köln und Hamburg eine vierte Großstadt für lange Zeit unbewohnbar wird, nur weil das BVG die Definition von "aufrechnen" fehlerhaft interpretiert und die Würde des Täters höher schätzt als die Würde der Opfer, so etwa nach dem Motto:  Der Täter darf seine Tat würdevoll vollenden, die Opfer in voller Würde nur ihr Leben! Und Opfer sind wir schließlich alle, Herr Papier! Welch ein Markenzeichen philosophischer Kompetenz!

 

Also, welche weitere Stadt etwa dürfen wir im Namen Ihrer Philosophie opfern, Herr Präsident? Duisburg? Stuttgart? Oder doch nur Buxtehude? Es ist nicht schwer zu erkennen, dass bereits nach der ersten unbewohnbaren Stadt und zehntausenden von Toten und Verletzten das böse Wort "Alle Soldaten sind Mörder!" durch das nicht minder böse Wort "Alle Richter sind Mordgehilfen!" ergänzt werden wird, wenn nicht gar ein Volksaufstand die dann blutroten Roben aus Karlsruhe unter Schimpf und Schande vertreibt und so unsere Demokratie und unser Grundgesetz irreparablen Schaden erleiden.  Eine Horrorvision, gewiss. Aber liegt das alles wirklich in so weiter Ferne? Ist das Denkbare in unserer Situation nicht zugleich auch eine gar nicht so unrealistische Option des Schicksals? Müssen wir erst zynisch und fatalistisch zugleich die Probe aufs Exempel machen? Müssen wir denn hohe ethische und moralische Zielvorstellungen bis zum Extrem ausreizen, bevor wir die Folgen unseres Tuns bedenken?

 

Wir alle haben, so glaube ich, die ungeheure Dimension dieses einmaligen Vorganges in der Geschichte der Zivilisation und rechtsstaatlicher Entwicklung, der sich vor unseren eigenen Augen abspielt, noch nicht einmal im Ansatz begriffen: Ein rechtsstaatlich eingesetztes Verfassungsorgan untersagt einem anderen, dass für die Sicherheit staatlicher Existenz zuständig ist, letztmögliche Eingriffsoperationen in Extremsituationen, selbst auf die Gefahr hin der vollständigen Vernichtung eben dieser rechtsstaatlichen Existenz.

 

Wohlgemerkt, es geht hier in der Diskussion nicht um Nuancen der Vorgehensweise. Wenn ich die Interviewäußerungen des Präsidenten des Bundesverfassungsgerichtes der Bundesrepublik Deutschland, Herrn Prof. Dr. Dres. h.c. Hans-Jürgen Papier, richtig verstanden habe, geht es hier schlicht und ergreifend um das "ob". Die in Artikel I des Grundgesetzes  geschützte "Würde des Menschen" verbiete, so Hans-Jürgen Papier, auf "ewig" jegliches Eingreifen. Man dürfe hier in den Lauf des Schicksals nicht eingreifen, um das hohe Gut der menschlichen Würde nicht zu verletzen! So die schlichte Denkweise eines Professors aus seinem Elfenbeinturm elitärer Gelehrsamkeit! So jedoch hatten sich das die Mütter und Väter des Grundgesetzes der Bundesrepublik Deutschland sicher nicht gedacht! Diese hatten Extremsituationen gerade in Fülle überstanden und sich dabei selbstverständlich auf ihre Art und Weise zur Wehr gesetzt, um zu überleben! Dass diese selbstverständliche Denkweise fast sechzig Jahre später bei der Interpretation ihres Gesetzeswerkes keine Rolle mehr spielen sollte, ja sogar wie im Falle des Jakob von Metzler ins Gegenteil verkehrt werden sollte, ist die Tragik der rechtsstaatlichen Entwicklung unseres Landes.  

 

Wie kommen wir aus dem Dilemma heraus? Wie können wir in Würde und Rechtsstaatlichkeit die schier ausweglos erscheinende Problematik meistern?  Das können wir meines Erachtens offensichtlich nur, wenn wir uns grundlegende Gedankengänge noch einmal verinnerlichen:

 

Das Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland ist ein rechtspolitisches Dokument zur Durchsetzung ordnungspolitischer Vorstellungen in einem sonst im Chaos versinkenden Gemeinwesen, nichts mehr und nichts weniger! Es ist insbesondere kein Dokument zur Verwirklichung höchst komplexer philosophischer Weltanschauungen oder transzendenter theologischer Heilslehren. Damit ist Artikel I des Grundgesetzes über die Würde des Menschen eben nicht die Anweisung, kompromisslos zum Beispiel Kantsche Lehren in die Tat umzusetzen oder theologische Vorstellungen der Heilserwartung auszusitzen. Artikel I ist die Forderung, solch wünschenswert hohe Zielvorstellungen mit hoher Verantwortung in die real zu ordnende Welt einzubringen. Eine 1:1 Abbildung ist dabei aufgrund des chaotischen Grundzustandes dieser Welt jedoch nie zu erreichen. Alle Versuche dahingehend sind zum Scheitern verurteilt,  wie etwa Heilslehren in noch nicht allzu weiter Vergangenheit es uns gezeigt haben. Kant wäre mit seiner Theorie allein schon am Jakob-Problem gescheitert, weil seine Emotionen im entscheidenden Augenblick die Oberhand über die abstrakte Theorie  gewonnen hätten! Die Überschätzung philosophischer Thesen und ihre kalte Präsentierung kann folglich in einer realen Welt nur als emotionaler Defekt verstanden werden. Dieses Phänomen habe ich einmal als Filbinger-Syndrom bezeichnet. Der Begriff der Menschenwürde im Grundgesetz muss folglich im ordnungspolitischen Sinne mit besonderer Beachtung des emotionalen Seins des Menschen interpretiert werden. Was bedeutet das im Klartext? 

 

Dem Staat ist die alleinige Schutzfunktion für seine Bürger übertragen. Er ist deshalb mit überragenden Mitteln der Macht- und Gewaltausübung ausgestattet, die er nach verantwortungsvoller Abwägung einsetzen muss! Dieses verantwortungsvolle Abwägen kann nicht allein deshalb untersagt werden, weil der theoretische Begriff der Würde ein Abwägen auszuschließen scheint. Der Staat ist allein durch seine ordnungspolitische Funktion gezwungen, durch Abwägung der Folgen einer Tat die ihm zur Verfügung stehenden Mittel einzusetzen und zu nutzen. Er kann in Extremsituationen nicht einfach beiseite stehen und die Folgen bedauern. Er hat den Schaden schlicht und ergreifend zu minimieren! Im Beispiel des Geiselbombers hat der Staat zunächst alles daranzusetzen, die Geiseln zu schützen und zu retten. Erst in dem Moment, wo abzusehen ist, dass er das Leben der Geiseln nicht mehr schützen und retten kann und weiteres Leben zu beklagen sein wird, hat er alles, aber auch wirklich alles zu versuchen, dieses zusätzlich gefährdete Leben zu retten. Die emotionale Würde der Menschen gebietet das!

 

Ein weiteres Beispiel: Beim Jakob-Problem darf die Menschenwürde des Grundgesetzes im Abwägungsprozess  nicht zum Schutzwall für den Täter verkommen, hinter dem dieser seine Tat ungefährdet vollenden kann. Der Täter wird durch staatliche Zwangsmittel ja nicht völlig würdelos gestellt, da er weiterhin alle Rechtsmöglichkeiten in der Rückschau und der Be- und Verurteilung seiner Tat behält. Er muss es aber hinnehmen, dass er akut mit allen erforderlichen Mitteln gezwungen werden kann, von seiner Tat abzulassen. 

 

Das Problem, das einer Lösung zugeführt werden muss, verlagert sich also nach dem soeben Ausgeführten in den Bereich des Abwägungsprozesses, der einer Aktion des Staates voranzugehen hat. Wie, so stellt sich die Frage, ist Artikel I GG in diesem Abwägungsprozess einzubeziehen? Wie ist das hohe Gut der Würde der Beteiligten zu achten und zu schützen, ohne die Folgen des Geschehens aus den Augen zu verlieren? Die Antwort darauf ist in unserer Zivilisation die Dynamisierung des Würdebegriffes oder, wie ich es nenne, die Belastung der Würde des Menschen. Das heißt, und das wird im Alltag als Selbstverständlichkeit auch so hingenommen,   dass die Würde eines Menschen umso stärker begrenzt, d.h. belastet werden darf, je stärker der Sanktionsanspruch des Staates für die Folgen einer Tat und der Vorsorgeaspekt einzubeziehen sind. Der Dieb erhält ein Jahr Freiheitsstrafe, der Räuber fünf und der Mörder fünfzehn.  Der Staat handelt hier nicht aus Rache sondern aus seinem Schutzauftrag heraus. Natürlich stellt sich nun sofort die weitere Frage, wie weit der Würdebegriff eingegrenzt und somit belastet werden darf, ohne den Auftrag des Artikels I GG zu ignorieren. Was also ist der absolute Kernbereich der Würde des Menschen, der nicht oder, wie im Extremfall denkbar, jedenfalls nicht auf Dauer angetastet werden darf?

 

Hier hat unser Staat bereits eine bemerkenswerte Antwort gegeben, in der er implizit den Begriff der Zumutung oder Zumutbarkeit, wie ich ihn nennen möchte, eingeführt hat: Der Bankräuber darf nach Abwägung notfalls erschossen werden, um das Leben der Geisel zu schützen. Im Abwägungsprozess stehen sich hier zwei grundsätzlich gleichwertige Rechtsgüter gegenüber: einmal die Würde des Bankräubers und zum andern die Würde der Geisel, wobei das Recht auf Leben meines Erachtens ein essentieller Aspekt der Würde des Menschen ist.  Beide Rechtsgüter hat der Staat nach Artikel I GG zu schützen. Doch ein Patt im Wettstreit der Güter? Nein, denn der Staat hat einen Schutzauftrag, der gleichsam das ganze Geschehen überwölbt. Wem der Beteiligten ist also ein Eingriff des Staates zuzumuten und wie stark darf dieser Eingriff sein ohne Artikel I GG zu verletzen? Nun die Antwort unseres Staates ist bekannt: Dem Geiselnehmer als Friedenstörer sind die Folgen seiner Tat zuzumuten. Es kann einfach nicht sein, dass der Staat sich daneben stellt und die Entwicklung des Geschehens mit Interesse beobachtet und die Initiative dem Bankräuber überlässt. Im Extremfall reicht es also aus, nach Abwägung allein den Schutz und die Würde des Opfers einer Friedensstörung  sicherzustellen, um das Gebot des Artikels I GG zu erfüllen. Für das Jakob-Problem bedeutet das, dass dem Täter zugemutet werden kann, zumindest zeitweise die Einengung seiner Würde auf einen adäquaten Kernbereich hinzunehmen, um wenigstens das Leben des Opfers und damit dessen Würde retten zu können.

 

Die Einführung höchst komplexer philosophischer Begriffe wie etwa "Personalität" durch den Vizepräsidenten des Bundesverfassungsgerichtes der Bundesrepublik Deutschland, Herrn Prof. Dr. Dr. h.c. mult. Winfried Hassemer, in den Begriff der Würde ist in diesem Falle irrelevant, da die "Zumutung" auch ohne diesen Begriff eindeutig festgelegt werden kann. Schlimmer noch! Die in seiner Argumentation implizit verborgene Trennung zwischen Physis und Metaphysis des Menschen, also der Natur und dem, was "hinter" der Natur des Menschen existiert, ich nenne es schlicht Leben und Würde, widerspricht dem Auftrag des Artikels I GG eminent. Leben und Würde des Menschen sind untrennbar miteinander verbunden! 

 

Die Würde des Menschen ist unantastbar. d.h. vom Menschen durch den Menschen nicht trennbar, weil der Mensch ohne sie als Mensch nicht existiert.

 

Ohne sie wäre er nur ein beliebiges Objekt in der Natur!

 

Das bedeutet:

Rechte und Pflichten(!), die sich aus der Würde des Menschen ergeben, sind zwar angreifbar, belastbar und abwägbar, jedoch nicht von ihm trennbar!

 

Diese Inoperabilität ist das, was als Unantastbarkeit der Würde im GG bezeichnet wird! Erinnern wir uns: Was rief der Todgeweihte in Auschwitz den SS-Schergen zu, als sie seinen Blick meidend die Türen zur Gaskammer schlossen?

 

"Ihr könnt uns zwar wie Ungeziefer vergasen, doch unsere Ehre, unsere Würde bleibt unantastbar!"

 

Die gesonderte Betrachtung des Würdebegriffes in der Justiz mag praktikabel sein, doch darf es niemals dazu kommen, dass die Metaphysis, d.h. die Würde gegen die Physis, d.h. das Leben positioniert wird. Das würde den Träger der Würde in den Rang eines unantastbaren Gottes erheben, zum Herrn über Leben und Tod, der  sich jeglicher Einflussnahme entzöge.  Das aber gerade kennzeichnet die Würde des Menschen nicht, denn sie macht aus der Physis einen Menschen, indem sie ihm Verantwortung überträgt und ihn somit verantwortbar macht!

 

Daraus folgt:

 

Artikel I GG beschreibt ein hohes, schützenswertes Gut. Er kann aber seinen Schutzbefohlenen nicht entmenschlichen, indem er ihn seiner Physis beraubt und ihn so vergöttlicht.

 

In der Bibel steht: "Und Gott schuf den Menschen nach seinem Ebenbilde", doch ist  es und war es  schon immer so, dass der Mensch seine Götter nach seinem Ebenbilde schuf. Das ist verständlich und tolerierbar, damit die Unbegreifbarkeit des Phänomens "Leben" Inhalt, Sinn und Ziel erhält, doch müssen wir uns davor hüten, einen Moloch zu erschaffen, dem wir unsere Kinder bedenkenlos opfern können.  

 

Lassen Sie es nicht zu, sehr geehrter Herr Präsident Papier und sehr geehrter Herr Vizepräsident Hassemer, dass der Schutz der Würde des Menschen durch unser Grundgesetz zum Götzendienst verkommt! Lassen Sie es nicht zu, dass in solch einem unheiligen Ritus der Hohe Priester gleichsam gegen eine schon halb im Wasser stehende Kiste tritt und dem geschundenen Jakob da drin zuruft:

 

"Hör endlich auf zu winseln und zu wehklagen.

Ergebe Dich würdevoll in Dein unabwendbares Schicksal,

denn der Schutz der unantastbaren Würde Deines Peinigers steht im

Buch der Bücher an erster Stelle,

Dein bißchen Leben erst an zweiter!

Bedenke:

Du bist schließlich nur ein halber Mensch,

nur ein kleines würdeloses Leben,

er aber gleicht der würdevollen 'Fundamentalen Personalität',

unserm unantastbaren Gott!

In Ewigkeit Amen!"

 

Beim Problem des Geiselbombers stellt sich nun die Frage, kann der Staat die Geiseln im Bombenflugzeug überhaupt schützen, sind sie seinem Schutzauftrag zugänglich? Ist somit Artikel I GG in einem Abwägungsprozess auch anwendbar? Muss diese Frage verneint werden, so ist Artikel I GG im Hinblick auf die im Bombenflugzeug sitzenden Geiseln irrelevant. Der Staat kann für diese Geiseln in diesem Extremfall nichts mehr tun. Seine ganze Kraft ist jetzt darauf zu richten, weiteren Schaden abzuwenden und seinen Schutzauftrag dort zu erfüllen, wo immer es ihm möglich ist. Er kann also die Waffe der Terroristen zerstören, ohne für den Tod der Geiseln Verantwortung tragen zu müssen. Diese liegt allein bei den Terroristen! Den Bewohnern einer Stadt ist es schließlich schlichtweg nicht zumutbar, auf ihr Recht auf Leben und damit auf ihre Würde zu verzichten, nur weil der Staat 200 Geiseln nicht schützen kann und hilflos auf Artikel I GG starrt. 

 

An diesem Punkt der Diskussion steht unübersehbar der Aspekt der Vorsorge im Raum! Wie kann der Staat solch eine extreme Konstellation, bei der er seinem Schutzauftrag nicht mehr gerecht werden kann,  vermeiden? Auch hier kann man wiederum nur über den Begriff der Zumutbarkeit der Lösung des Problems näher kommen. Was ist dem Verdächtigen zuzumuten und was den möglichen Opfern? Wieweit kann und wieweit muss der Bereich der Würde nach Artikel I GG der möglichen Täter eingeschränkt werden, um den Rechtsfrieden und den Schutzauftrag des Staates zu erhalten? Müssen auch unter Umständen völlig Unbeteiligte die Einschränkung ihrer Würde hinnehmen, damit die Schutzbereitschaft des Staates erhalten bleibt? Ein weites Feld für unsere Justiz und den Gesetzgeber, fürwahr! Eines darf  jedoch bei aller Ernsthaftigkeit und  ehrlichem Bemühen nicht außer Acht gelassen werden: Wir können nur versuchen, diese Welt friedlich und behaglich für uns einzurichten, aber wir werden immer wieder an das uns umgebende Chaos erinnert werden. Doch versuchen müssen wir es! 

 

Stellen Sie sich der Kritik, Herr Hans-Jürgen Papier und Herr Winfried Hassemer, offen, aufrecht und bereit, die Singularitäten Ihres Argumentations- und Gedankengeflechtes zu erkennen und realitätsnah zu bewerten. Falls Sie dazu nicht bereit sind, dann treten Sie zurück, um aufgeschlossenerem Denken Platz zu machen!

 

Hoffen wir, dass aus eben dieser Kritik eine fruchtbare Diskussion entsteht, aus der sich niemand, auch wirklich niemand gekränkt ausklinkt, nur weil ihm der Respekt zu fehlen scheint, der ihm würdevoll zuzustehen habe.

 

 

Ulrich Perwass

 

p.s.

 

Na also, es geht doch, Ihr Herren Richter am Bundesverfassungsgericht der Bundesrepublik Deutschland. Mit Ihrem Urteil zum NRW-Verfassungsschutzgesetz vom 27. Februar 2008 haben Sie endlich Artikel I GG nicht als dunkles Moor interpretiert, in dem man den gepeinigten Jakob seinem Schicksal überlassen, ihn also opfern muss. Sie haben Artikel I GG als klaren Quell genutzt, aus dem man Rechte für den Menschen, also Menschenrechte schöpfen kann! Sie haben aber auch deutlich gemacht, dass diese Rechte nicht schrankenlos sind, dass sie vielmehr ihre Schranken im Recht des Anderen, des Nächsten finden und Sie haben solche unabdingbaren Schranken aufgezeigt:

 

Leib, Leben, Freiheit und Grundlagen menschlicher Existenz!

 

Respekt!

 

Hoffen wir, dass Sie es auch so meinen, wie Sie es gesagt haben und wie ich es auch im Interesse des gepeinigten Jakobs und der vielen unschuldigen Opfer eines Geiselbombers verstehe! Allein ich habe meine Zweifel, wenn ich an Ihre neueste Entscheidung denke, Jakobs Mörder Prozesskostenhilfe zu gewähren, damit er(!) Schmerzensgeld einklagen kann! Mir fällt dazu nur ein geflügeltes Wort aus Wallenstein ein, das Friedrich von Schiller Octavio Piccolomini anklagend sagen lässt:

 

"Das eben ist der Fluch der bösen Tat, dass sie, fortzeugend, immer Böses muss gebären."

 

 

Nachtrag:

 

Zum Jakob-Problem und Geiselbomber sind in der Wochenzeitung "Die Zeit" mehrere Artikel erschienen, die diese Problematik aus juristischer und rechtsphilosophischer Sicht angehen. Hier einige davon:

 

1. Prof. Dr. Volker Erb, Nicht Folter sondern Nothilfe,

              Die Zeit Nr. 51, 9. Dezember 2004

 

2. Prof. Dr. Reinhard Merkel, Jenseits des Rechts,

              Die Zeit Nr. 38, 19. September 2007

 

3. Prof. Dr. Reinhard Merkel, Folter als Notwehr,

              Die Zeit Nr. 11, Seite 46 vom 6. März 2008

 

4. Prof. Dr. Klaus Günther, Folter kennt keine Grenze,

              Die Zeit Nr. 12, Seite 42 vom 13. März 2008

 

Ein in meinen Augen ausgezeichneter, präzis formulierender Aufsatz ist in der Neuen Juristischen Wochenschrift,  NJW  Heft 14/2005 erschienen. Dort wird auch das grundlegende Problem des verfassungsrechtlichen Absolutheitsgrades der Menschenwürde angesprochen. Dieses Problem, das in seiner klaren Form so erstmals im Mordfall Jakob von Metzler einer breiten Öffentlichkeit bewusst wurde, wird uns sicherlich noch längere Zeit und im Hinblick auf terroristische Aktivitäten auch immer drängender beschäftigen:  

 

5. Dr. Dr. h.c. Heinrich Götz,

           Das Urteil gegen Daschner im Lichte der Werteordnung des Grundgesetzes,

           NJW 14/2005

 

Zum Schluss noch ein Hinweis auf einen Leserbrief des Vorsitzenden Richters am Oberlandesgericht Koblenz Hartmut von Tzschoppe an die Süddeutsche Zeitung, den diese am 26.02.2005 veröffentlichte:

 

6. Hartmut von Tzschoppe,

        Ein Virus im Urteil,

        Anmerkungen zur schriftlichen Begründung einer Frankfurter Strafkammer:

        Respekt für Wolfgang Daschner,

        Süddeutsche Zeitung, SZ 26.02.2005

 

 

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Zum Würdemordproblem:

Zum Würdemordproblem ist in der Wochenzeitung "Die Zeit" eine scharfsinnige und geschliffene juristische Replik von Prof. Dr. Reinhard Merkel erschienen, die die zur Zeit im Rechtswesen dominierende Argumentationskette führender Juristen für den Würdemord ad absurdum führt:

Reinhard Merkel, Folter als Notwehr,  Die Zeit,  Nr. 11,  6.3.2008

Der Autor ist Professor für Strafrecht und Rechtsphilosophie an der Universität Hamburg.

 

 

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