Galerie 3 - Die Tränen der Sibylle

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Meinem Sohn

 

Die Tränen der Sibylle

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"Da schauen Sie ! " hörte ich  neben mir eine freundliche Stimme. "Die Tränen der Sibylle ! So klar wie selten kann man in diesem Jahr ihre wundertätige Wirkung erkennen!"  Ich drehte mich erstaunt um. Neben mir stand ein älterer Herr mit freundlich blitzenden Augen. Er bemerkte meinen fragenden Blick. "Ich beobachte Sie schon eine ganze Weile." fuhr er fort. "Sie haben offensichtlich große Freude an diesem herrlichen Blick von der Burg Teck hinaus ins weite Land über das Lautertal hinweg. Wollen Sie  auch die geheimnisvolle Geschichte über die Tränen der Sibylle hören, so wie sie sich hier wirklich vor langer, langer Zeit zugetragen hat?"

 

 

 Ohne zu zögern willigte ich ein, da zu meinen Fotos eine gute Geschichte wohl passen möge, zumal mir dieser sympathische, nette Herr sehr vertrauenswürdig und kenntnisreich zu sein schien. Also ließ ich mich von seiner ruhigen, sonoren Stimme fortragen in eine alte, schon lange entschwundenen Zeit:

 

 

"Tief im Sibyllenloch, gleich unter dem Gipfel, auf dem heute die Burg Teck steht, lebte einst eine alte wundertätige Frau mit Namen Sibylle. Ihre Wohnstatt ist zwar heute eine karstige Höhle, in der die Kinder fröhlich herumkraxeln, doch damals war es ein prächtiges, unterirdisches Schloss mit vergoldeten Wänden und 

 

 

 edelsteinbesetzten Fensterrahmen, durch die man weit ins Land schauen konnte.   Dort also lebte die Sibylle in geheimnisvoller Abgeschiedenheit dem Himmel sehr nahe.

 

 

 Sie war weise und schön und immer hilfsbereit. Sie kannte sich aus in vielen Dingen und konnte sogar die Zukunft deuten. Niemand stieg zu ihr vergeblich den steilen Weg empor, wenn er unverschuldet in Armut geraten war und der Hunger ihn quälte. Wenn die Trockenheit die Ernte zu vernichten drohte, kam sie sogar selber ins Tal herunter und tröstete mit ihren Tränen die vom Hunger Bedrängten. Auf wundersame Weise erholte sich die Natur dort, wo ihre Tränen geflossen waren. Die Wiesen wurden wieder grün, das Getreide richtete sich auf und bekam größere und goldene Ähren. Man fand sogar, dass das Brot von diesen Ähren besser schmeckte und die Milch der Kühe, die auf jenen Wiesen  geweidet hatten , viel nahrhafter war. Ja man fand sogar, dass die tägliche Arbeit sich viel leichter erledigte, wenn man von diesem Brot gegessen und von dieser Milch getrunken hatte.

 

 

 Eines Tages besuchte die Sibylle einen kranken Tagelöhner in seiner ärmlichen, halb verfallenen Kate. Sie war so gerührt von dessen Schicksal, dass sie die drei Buben des Armseligen mit hinauf in ihr Schloss nahm, um für sie zu sorgen und ihnen Heim und Zukunft zu geben.

 

 

 Die Buben wuchsen heran und wurden stattliche Burschen. Immer dann, wenn sie besonders fleißig am Tage gewesen waren und viel Neues dazu gelernt hatten, ließ die Sibylle am Abend zur Belohnung von einer ihrer geflügelten Katze einen besonders schönen Stern vom Himmel holen. Er glitzerte und strahlte in den Händen der Burschen, machte sie froh und glücklich und ließ sie sanft einschlafen.

 

 Da geschah es eines Abends, dass die Burschen in Streit darüber gerieten, wie lange ein jeder den Stern in seinen Händen halten durfte. Voller Wut schleuderte der Älteste schließlich dieses wundersame Kleinod kraftvoll hinaus, so dass es Funken sprühend sich über das ganze Land verteilte und weit, weit entfernt mit einem glühenden Rest im Neckartal zu Boden fiel. 

 

 

Die Sibylle wurde darüber sehr, sehr traurig und schalt ihre streitenden Burschen. Der Zauber sei zerstoben und Mühe und harte Arbeit werde nun ihr Schicksal. Dann spannte sie die geflügelten Katzen vor ihren Wagen und fuhr weinend davon, hinüber zum Neckar, um ihren Stern zu suchen. Seit dem hat sie nie wieder jemand gesehen. Nur dort, wo ihre Tränen die Wagenspuren einst füllten, grünt es heute noch ein wenig grüner als anderswo, schmeckt das Brot vom Getreide aus der Spur ein wenig besser und trinken die Kinder die Milch der Kühe, die in der Spur geweidet haben, ein wenig lieber.

 

 

 Die Römer, die vor 2000 Jahren dieses Land beherrschten, versuchten das Geheimnis der Sibyllenspur zu enträtseln, um das umgebende Land genauso fruchtbar zu machen. Sie gruben tiefe Gräben entlang der Wagenspur. Doch sie fanden nichts Außergewöhnliches. Entmutigt warfen sie schließlich ihren irdenen Abfall und den Restmüll ihres Alltags in diese Gräben und schaufelten sie wieder zu. Erst in unserer Zeit untersuchte ein Gelehrter aus Tübingen wieder die Sibyllenspur, um dem Geheimnis der sonderbaren Fruchtbarkeit auf die Spur zu kommen. Er fand die Töpferscherben und den Abfall der Römer und behauptet seit dem, dass die Sibyllenspur der Limes, d.h. die Grenzbefestigung der alten Römer gewesen sei." 

 

Der Erzähler hielt ein wenig inne und ein wissendes Schmunzeln verklärte seine Züge.

 

"Im Mittelalter schließlich" fuhr er lächelnd fort "behaupteten doch drei dreiste Raubritter, die von ihren Burgen aus das Land um die Burg Teck herum drangsalierten, dass sie die Kinder der wohltätigen Sibylle seien. Ihre Mutter brauche die Sondersteuern der Bauern und Kaufleute, um arme Menschen im Osten zu unterstützen, wohin sie, der Freyja ähnlich, mit einer von geflügelten Katzen gezogenen Kutsche gefahren sei. Als Dank habe sie Abschiedstränen weinend die besonders fruchtbare Sibyllenspur hinterlassen. Allein die Menschen wussten es damals besser: Aus Gram über die Rauf- und Trunkenbolde hatte jene Mutter ihre Söhne heimlich in einem Ochsenkarren verlassen, um Schutz bei Verwandten in Weimar zu suchen. Die Sibyllenspur war schon immer erkennbar gewesen,  da sie in grauer Vorzeit durch die Kutsche der geheimnisvollen, wohltätigen und göttergleichen Ase Sibylle entstanden war! Leider ist dieses Wissen im Laufe der Jahrhunderte verloren gegangen." 

 

"Was aber geschah mit den drei Burschen unserer geheimnisvollen Sibylle?" unterbrach ich ihn etwas ungeduldig.

 

"Sie mussten wieder ins Tal hinab in ihre armselige Kate, denn gleich nachdem die Sibylle weinend davon gestoben war, verschloss sich der Berg mit dumpfen Grollen, so dass ihr Schloss von niemandem mehr betreten werden konnte. Einzig die Eingangshalle blieb als karstige Höhle zum Schutz des einsamen Wanderers erhalten."

 

"Was aber wurde aus ihnen?" drängte ich nochmals.

 

"Die drei Burschen  nun hatten bei der Sibylle viel gelernt. Sie wurden fleißige Handwerker und Tüftler und wetteiferten miteinander um die Herstellung der besten Geräte und Werkzeuge, die sie der Sibylle bei deren Rückkehr vorführen wollten. Der Gewinner sollte den glänzenden Stern der Sibylle erhalten. Vor jedem Sonntag putzten sie in freudiger Erwartung ihre  Häuser und kehrten sogar die Strasse davor. So vergingen die Jahre, die Jahrhunderte und die Jahrtausende.

 

Aus den drei Burschen war inzwischen das fleißige Volk der Schwaben geworden, als eines Tages die Frau eines besonders begabten Tüftlers heimlich mit der neuen, gerade fertig gewordenen selbstfahrenden Kutsche ihres Mannes durch das Neckartal tuckerte und unterhalb eines großen Weinberges an einer klar sprudelnden Quelle hielt, um sich ein wenig zu erfrischen. Sie tauchte ihre Hände in den kühlen Quell, dessen Oberfläche glitzerte wie mit tausenden funkelnden Sternen übersät. Als sie etwas Wasser schöpfte, wandelte sich ihr Spiegelbild, das sie in ihren eigenen Händen hielt, auf wundersame Weise zum freundlich lächelnden Antlitz der Sibylle:

 

"Dir und Deinem Manne gehört der Stern.

Euer Name sei für immer mit ihm verbunden."

 

 

Foto aufgenommen im Mercedes-Benz Museum, Stuttgart

 

Kaum waren diese Worte verklungen, löste sich das Spiegelbild in einem Wirbel silberglänzender, feinster Tröpfchen auf, aus dem ein bunter Schmetterling emporstieg. Flügelschlagend verteilte er das wundersame Nass über das ganze Land bis weit, weit hinauf zur Burg Teck. "

 

Als ich vom Hauch eines Flügelschlages gestreift wurde und ein Tröpfchen, nicht unähnlich einer Träne der Sibylle, mich  benetzte, erwachte ich aus diesem wunderbaren Traum. Da war ich doch tatsächlich auf der Burg Teck bei der Rast eingeschlafen! Kein älterer Herr, keine nette Sibylle und keine drei Burschen waren in meiner Nähe. Nur ein wunderschöner Schmetterling saß über mir. Flatternd winkte er mir zu, als wollte er sagen:

 

"Glaub mir, so war sie wirklich:

Die Geschichte von den Tränen der Sibylle!"

 

 

 

 

 

Welch ein schöner Traum und welch sonderbare Geschichte! Doch manchmal, wenn ich aus meinem Stuttgarter Hotelzimmer nach "Bienzle und Romminger" und viel, viel "Trollinger" zum Fernsehturm hinüberschaue, ist es mir, als sähe ich den Stern der Sibylle aus einem klaren Abendhimmel zu mir herüberblinzeln.

 

 

 

 

Wer mehr über den mythologischen und geschichtlichen Hintergrund meines Traumes erfahren möchte, der sollte folgende Internetseiten besuchen:

Frigg

Freya

Sibylle von der Teck

Limes

 

 

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Letzte Änderung:  12.11.2011 18:07:15   -  Copyright Ulrich Perwass 1991/2007.    Alle Rechte vorbehalten